Es ist wunderbar, wenn man gemeinsam in völliger Harmonie schweigen kann. Doch Schweigen kann auch etwas gänzlich anderes bedeuten, es kann ein Zeichen purer Aggression sein.
Wir schweigen, wenn wir Ruhe brauchen, wenn wir nichts zu einer Unterhaltung beizutragen haben. Wir schweigen aus Unwissenheit, manchmal auch, weil wir dadurch tiefgründiger wirken und uns interessanter machen wollen. Wir schweigen, wenn wir uns selbst oder anderen nicht schaden wollen, daher das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“.
Wenn es zu einer längeren Gesprächspause kommt, empfinden wir das oftmals unangenehm und beginnen krampfhaft nach Gesprächsthemen zu suchen, um die Stille zu durchbrechen. Wir halten es kaum aus, ruhig zu sein, denn wir möchten nicht als unhöflich gelten. Der andere soll bloß nicht denken, wir interessieren uns nicht für ihn.
Weil wir um die Gefühle wissen, die Schweigen auslösen kann, wird es auch als Taktik eingesetzt. Denn wenn wir schweigen, weiß unser Gegenüber nicht, was wir denken und was unser Ziel ist. Es entsteht ein Gefühl der Verunsicherung, und mit fortschreitendem Schweigen wächst diese an. Unwissenheit gepaart mit Verunsicherung gibt uns das Gefühl, unterlegen zu sein. Darum wird Schweigen in der Geschäftswelt als Mittel bei Verhandlungen eingesetzt. Nach dem Motto „Wer zuerst wieder spricht, hat verloren“. Förderlich für eine gemeinsame „Gesprächsbasis“ ist das natürlich nicht, doch hier steht ja auch die Durchsetzung der eigenen Interessen im Vordergrund.
In privaten Beziehungen läuft es nicht viel anders ab. In einer Partnerschaft geht es um ein „Miteinander-in-Beziehung-Treten“. Dies geschieht durch verbale und nonverbale Kommunikation. Manche Menschen tendieren dazu, direkten Konflikten auszuweichen, aus den verschiedensten Gründen. Etwa weil sie wissen, dass sie rhetorisch unterlegen sind, nicht so laut schreiben können wie der andere, Angst haben vor den Folgen einer offenen Konfrontation oder nicht daran glauben, sich behaupten zu können. Diese Menschen wählen oft Schweigen als ihre Antwort, in dem Konflikt doch noch zu gewinnen.
Denn Schweigen bedeutet Macht. Wenn in einer Beziehung ein Partner den anderen anschweigt, ist das ein Beziehungsabbruch. „Du bist es mir nicht einmal wert zu antworten“ ist die Botschaft, die hinter dieser passiven Aggression steckt. Die Schweiger selbst können oft gar nicht sagen, warum sie kein Wort herausbringen. Manche halten ihr Schweigen auch gesünder für den Fortbestand der Beziehung.
Angeschwiegene wissen manchmal gar nicht, warum ihr Partner nicht mehr mit ihnen spricht. Sie beginnen ihr Gewissen zu erforschen, ob sie etwas getan hätten, was dazu geführt hat, und entwickeln Schuldgefühle, selbst wenn ihnen kein Grund einfällt. Aber die Auswirkung ist ja spürbar, also muss es einen geben. Den aufkommenden eigenen Ärger verdrängen sie, weil sie sich hilflos fühlen, selbst wenn sie körperlich und geistig überlegen wären. Um wieder miteinander in Kontakt zu treten umschmeicheln sie dann den Schweiger, so lange, bis dieser meint, es wäre genug, der Ausgleich wieder hergestellt, und sie könnten die Beziehung wieder aufnehmen. Partner von Schweigern haben es schwer, denn sie leisten einseitige Beziehungsarbeit.
Passive Aggression mit der Androhung des Beziehungsverlustes ist eine der schärfsten Waffen, die Menschen zur Verfügung stehen. Speziell in der Familie funktioniert sie sehr gut, da wir als soziale Wesen dort unsere Sicherheit und unseren Selbstwert herbekommen.
Wenn Kinder das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden in ihren Bedürfnissen, kein Gehör zu finden, oder unterdrückt werden, kann das zu Resignation und dem Gefühl der Hilflosigkeit führen. Diese Kinder entdecken uU Schweigen als ihre Antwort auf Konflikte, und haben so eine Chance, ihre Interessen doch noch durchzusetzen.
Vielleicht wird gemeinsames Schweigen deshalb als so wohltuend wahrgenommen. Weil wir dann wissen, dass uns der Andere voll und ganz so annimmt, wie wir sind. Manchmal lauter, und manchmal eben leiser.