Stellen Sie sich folgendes vor: Es ist Ferienbeginn und eine Familie fährt in den Urlaub, steckt aber im Stau fest. Der Vater poltert, weil sie zu spät weggefahren und so in den Hauptverkehr geraten sind. Die Mutter versucht ihn zu beschwichtigen, der Teenager auf der Rückbank verkündet, wie lange sie laut seinem Handy-Navi noch brauchen, und der Knirps daneben macht einen Witz. Was geht hier gerade ab?
Die vier sind Vertreter der typischen Kommunikationsstile in Stresssituationen: den Angreifer, den Beschwichtiger, den Rationalisierer und den Ablenker, wobei die meisten von uns Mischtypen sind. Es kann vorkommen, dass jemand in der Arbeit ein Beschwichtiger ist, zu Hause aber ein Ankläger. Trotzdem gibt es ein Grundmuster, das überwiegt.
Ankläger: „Angriff ist die beste Verteidigung“. Braucht einen Schuldigen, macht Vorschriften , spielt sich als Boss auf. Dynamische, angespannte, einschüchternde Körperhaltung, laute Worte und ausdrucksstarke Gestik. Wird innerlich beherrscht von einem Gefühl der Erfolglosigkeit und Einsamkeit. Leidet oft an Verspannungen, Bluthochdruck, Magengeschwüren, Verstopfung.
Beschwichtiger: „Ja“-Sager, der seine eigene Meinung und Wünsche hintan stellt, versucht es allen recht zu machen und für Harmonie zu sorgen. Ist liebevoll und umsorgend. Nimmt freiwillig Fehler auf sich, auch wenn er dafür nicht verantwortlich ist, bettelt um Vergebung und Zuwendung. Das geht auf Kosten des eigenen Selbstwerts. Fühlt sich selbst wert- und hilflos, sieht Beschwichtigen als Überlebensstrategie, giert nach Anerkennung. Körperhaltung unterwürfig, sich klein und unsichtbar machend. Leidet oft an Übelkeit, Migräne, Verstopfung.
Rationalisierer: „Objektiv gesehen..:“ Bleibt bei den Fakten, liebt Zahlen und Statistiken, hält sich strikt an Regeln, wirkt intellektuell und löst Probleme auf der kognitiven Ebene. Kann keine Gefühle zeigen, fühlt sich innerlich isoliert und verletzlich. Starre Körperhaltung, stark symmetrisch. Leidet oft an Rückenschmerzen, Krebs, Herzinfarkt.
Ablenker: „Pausenclown“ . Besonders lustig, sprunghaft, ziellos. Lenkt den Fokus von unangenehmen Dingen auf andere Themen, die überhaupt keinen Zusammenhang damit haben. „Vogel-Strauß-Taktik“ als Problemverdrängungsstrategie. Fühlt sich nicht in seiner Mitte, sucht seinen Platz im Leben. Ist wendig, ständig in Bewegung, wirkt nie völlig anwesend, Blick schweift umher, verdrehte Körperhaltung, scheint aus dem Gleichgewicht zu sein. Leidet oft an , Magenproblemen, Übelkeit, Migräne, Verstopfung.
Die Theorie dahinter stammt von Virginia Satir, die als Begründerin der Familientherapie gilt. Ihr Ansatz war, dass psychische Probleme niemals nur den Klienten betrafen, sondern Auswirkungen auf die gesamte Familie hatten bzw. sogar von dieser verursacht werden. Welches Kommunikationsmuster sich bei uns vorrangig entwickelt, hängt von unseren Erfahrungen in den ersten sechs Lebensjahren ab. In dieser Zeit entwickeln wir ein Bild von uns selbst, aufbauend auf den Erfahrungen, die wir im Umgang mit anderen machen. So entsteht unser Selbstwert. All den vier Typen ist gemein, dass ihr Selbstwert, auch wenn es tw. anders scheint, nicht hoch ist. Mit den verschiedenen Verhaltensmustern versuchen sie ihr inneres Selbst zu schützen und gleichzeitig Anerkennung und Zuwendung zu erhalten, auch wenn sie mit ihrem Verhalten oft das Gegenteil bewirken. Diese destruktiven Interaktionsmuster werden auch nonverbal von Eltern an Kinder weitergegeben.
Für Virginia Satir war das Ziel, ein kongruentes Verhalten zu entwickeln. Kongruenz meint, einen Seins-Zustand zu erreichen, wo man sich in der eigenen Mitte fühlt, bei seinem wahren Selbst angekommen. Dafür ist es nötig, sich selbst zu erkennen und anzunehmen, wie man ist. Sich mit Selbstliebe und Selbstachtung zu begegnen, und andere Menschen ebenfalls in ihrem Sein zu akzeptieren. Dann kann man ihnen offen begegnen, mit Vertrauen und ohne Angst vor Verletzungen, weil man um die eigenen Ressourcen weiß.
Wenn es einem gelingt, sich in Stressituationen kongruent zu verhalten, hat man es nicht nötig anzuklagen, zu beschwichtigen, zu rationalisieren oder abzulenken. Dann kann man einen liebe- und respektvollen Umgang miteinander pflegen, und so zu einem harmonischen Zusammenleben beitragen.